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Seit meiner Ausbildung Mitte der Neunzigerjahre sind die Zinsen in Deutschland fast stetig gefallen. Damals konnte der Anleger noch 10% für seinen Sparbrief bei der Hausbank bekommen und Kunden, die zu der Zeit einen Immobilienkredit benötigten, zahlten 12% oder sogar mehr. Anfang 2022 lag der Darlehenszinssatz für Immobilienfinanzierungen hingegen bei ca. 1,0% und der Anleger war froh, wenn er keine Negativzinsen in Rechnung gestellt bekam. Seitdem hat sich allerdings einiges geändert und die Zinsen sind in den letzten drei Monaten in Rekordgeschwindigkeit gestiegen.
Ein Beispiel aus der Praxis:
Während Mitte Januar diesen Jahres für einen Immobilienkredit von 300.000€ noch ein Zinssatz von 1,40% p.a. üblich war, liegt dieser heute bei 3,0% p.a. Bei einer Tilgung von 2,0% bedeutet das, dass die monatliche Rate von 850€ auf 1250€ gestiegen ist – also um 400€. Will oder kann der Käufer nicht mehr als 850€ zahlen, so fällt der Kreditbetrag natürlich kleiner aus. Er könnte dann aktuell noch einen Kredit von 205.000€ aufnehmen – also 95.000€ weniger. Inwiefern sich dieser Parameter auf die Immobilienpreise auswirken wird, ist noch umstritten. Klar ist aber, dass die steigenden Zinsen theoretisch einen Einfluss auf Immobilienpreise haben müssten. Allerdings ist die Entscheidung, ein Haus zu kaufen, oftmals gerade nicht vollkommen rational, so dass potenzielle Käufer ggf. eher bereit sein werden, eine höhere Rate zu zahlen, als dass Verkäufer ihre Immobilienpreise reduzieren.
Ein Blick in die Historie:
Der insgesamt sinkende Zinstrend seit den Neunzigerjahren wurde allerdings auch durch kurzfristige Zinserhöhungen durchbrochen. So sind beispielsweise in der Zeit von 2005 bis 2008 die Zinsen im zehn Jahresbereich von ca. 4,5% auf 6%gestiegen. Eine ähnliche Differenz im Zinsanstieg ist auch in diesem Jahr zu verzeichnen, allerdings in einem wesentlich kürzeren Zeitraum. Solch einen historisch schnellen Zinsanstieg hat es in Deutschland in den letzten 30 Jahren nicht gegeben.
Also warum steigen die Zinsen so plötzlich?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Oftmals wird gesagt, dass die Zinsen von der EZB festgelegt werden. Da die EZB die Zinsen aber bisher gar nicht verändert hat, kann das Phänomen dadurch nicht erklärt werden. Richtig ist aber, dass die EZB Zinserhöhungen ab dem zweiten Halbjahr in Betracht zieht. Und auf genau diese Erwartung reagiert der Kapitalmarkt vorzeitig, wodurch es zu Zinsänderungen kommt. Daraus lässt sich ableiten, dass die EZB eher eine Signalwirkung hat, aber die tatsächliche Zinsänderungen der Notenbank den Markt weniger stark tangiert.
Darüber hinaus bestimmt die EZB auch nur die Zinsen im kurzfristigen Bereich mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr. Finanzierungszinsen sind hingegen langfristig ausgerichtet, so dass sich andere Einflussfaktoren ergeben. Aber auch hier spielt die EZB eine nicht unerhebliche Rolle. Denn die europäische Notenbank kauft seit über 10 Jahren jeden Monat Anleihen auf – und das in zweistelliger Milliardenhöhe.
Während sich kaum ein Anleger für Anleihen interessiert, die nach zehn Jahren nicht einmal das eingesetzte Kapital zurückzahlen, hat die EZB genau diese in großen Summen in den letzten Jahren erworben. Dadurch wurden die (langfristigen) Zinsen über viele Jahre hinweg beeinflusst und niedrig gehalten. Genau dieses Ankaufprogramm wurde seit März reduziert und wird ab Juni endgültig auslaufen.
Somit könnte dies eine mögliche Erklärung für die Zinsentwicklung sein, die sich auch in den USA abspielt. Dort hat die FED den Kauf langfristiger Anleihen ebenso zurückgefahren, sodass auch dort die Zinsen gestiegen sind. Rein rational und logisch ist die Dynamik der letzten Wochen damit dennoch nicht eindeutig zu erklären.
Fazit:
Wie in der Argumentation deutlich wird, ist eine zuverlässige Prognose aus heutiger Sicht schwierig. Der Trend der letzten Wochen könnte durchaus noch anhalten, aber es wird auch hier keine unbegrenzten Steigerungen geben. Wir halten es für wahrscheinlich, dass sich der Kapitalmarkt in naher Zukunft wieder beruhigt und die Zinsen möglicherweise sogar wieder (etwas) fallen. Ein Zinsrückgang auf das Jahresanfangsniveau halten wir jedoch für unrealistisch. Was die gegenwärtige Situation für potenzielle Immobilienerwerber, für bestehende Finanzierungen oder für die eigenen Finanzen bedeutet, ist am besten in einem persönlichen Termin zu besprechen. Kommen Sie gerne auf uns zu.